Streitfall Hausgeburten: Kein Recht auf freie Wahl des Geburtsortes?

7. Dezember 2016
Hausgeburt Hebamme Geburt Baby

Vor Kurzem bat mich eine Freundin um Rat. Sie sei frisch schwanger und suche eine Hausgeburtshebamme. Sie habe Angst keine mehr zu finden.

Nina Martin vom Deutschen Hebammenverband (Bild: Deutscher Hebammenverband e. V.)

Nina Martin vom Deutschen Hebammenverband (Bild: Deutscher Hebammenverband)

Ihre Angst ist nicht ganz unbegründet. Das hat zwei Hauptgründe. Zum einen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor Kurzem entschieden, Hausgeburten seien kein Menschenrecht. Nina Martin vom Deutschen Hebammenverband sieht dieses Urteil als mögliches Zukunftsszenario für Deutschland mit Sorge:

“Das Urteil besagt ja, dass ein europäisches Land ein Recht auf eine Hausgeburt nicht  gewähren muss, wenn bei einer Hausgeburt mit Komplikationen der rechtzeitige Transfer in eine Klinik nicht sichergestellt ist. Das spricht Frauen das Recht auf Wahlfreiheit des Geburtsortes ab, anstatt die europäischen Länder dazu zu verpflichten, infrastrukturelle Mängel zu beseitigen.”

Zum anderen wird es immer schwerer, generell eine Hebamme zu finden. Die hohen Haftpflichtprämien haben in den vergangenen Monaten viele Hebammen dazu gezwungen, aus der freiberuflichen Geburtshilfe auszusteigen. Nina Martin meint dazu: “Auch in den Kliniken arbeiten immer mehr Hebammen in Teilzeit, da die Arbeitsbedingungen schlechter werden und von Personalknappheit und vielen fachfremden Tätigkeiten geprägt sind.” Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach der Unterstützung durch Hebammen…

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Dreifach Mama Josefa Scalisi

Auch ich wollte eigentlich eine Hausgeburt. Bei mir ist es letzten Endes ganz anders gelaufen… Aber entgegen den Ängsten und Vorurteilen, gegenüber der Geburt in den eigenen vier Wänden, kann das ein wunderbares Erlebnis sein. Meine Bekannte Josefa Scalisi hat drei Kinder (acht, fünf und anderthalb Jahre alt) auf diesem Wege zur Welt gebracht und schwärmt:

Nirgendwo fühle ich mich so wohl wie in meinem Zuhause. Nur dort kann ich mich richtig entspannen und die Geburt in der heimeligen Atmosphäre mit meinem Mann “genießen”. Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, dass ich mich noch in ein Auto setzen muss, dass ich mich anziehen muss und an einen Ort fahren, der mir fremd ist mit Ärzten und Hebammen, die ich nicht kenne. Zuhause habe ich eine, meine Hebamme, die mich kennt, die weiß, was mir gut tut und was ich mir für die Geburt wünsche.

Auch ich hatte mir damals genau diese Gedanken gemacht. Gleichzeitig will man natürlich nicht die Gesundheit seines Babies riskieren, das steht ja außer Frage. Gefühl ist das eine. Aber sind Hausgeburten “sicher”?

Auch in den Kliniken gibt es keine 100-prozentige Sicherheit für Gebärende und ihre Kinder

Schaut man auf die Zahlen, so sprechen diese eine deutliche Sprache: die jährliche Statistik zu den erfassten Hausgeburten in Deutschland zeigt für 2014: eine Hausgeburt unter den dafür notwendigen Voraussetzungen und Bedingungen ist nicht unsicherer, als im Krankenhaus. Eine Hausgeburt ist trotzdem nicht für jede Frau geeignet. Nina Martin erklärt:

“Nur wenn die Schwangerschaft physiologisch verläuft entscheidet die Hebamme verantwortungsvoll zusammen mit der werdenden Mutter, ob die Hausgeburt möglich ist. Eine schnelle Verlegung in eine Klinik sollte möglich sein, wenn Komplikationen auftreten. Ernste Komplikationen sind gering, aber möglich. Doch auch in den Kliniken gibt es keine 100-prozentige Sicherheit für Gebärende und ihre Kinder. Eine aktuelle Umfrage des Hebammenverbands hat ergeben, dass mittlerweile die meisten Hebammen in der Klinik drei und mehr Geburten gleichzeitig betreuen müssen. Auch das ist ein Risiko. Bei einer Hausgeburt gilt die volle Aufmerksamkeit der Hebamme nur einer einzigen Frau.”

Wenn ich mich nicht mehr entscheiden könnte wo ich meine Kinder zur Welt bringen darf, würde ich mich in meinen Rechten als freier Mensch beschnitten fühlen.

Josefa sagt: "Ich bin eine gesunde junge Frau. Ich vertraue meinem Körper und der Natur, die alles so eingerichtet hat, dass eine Geburt nicht unter medizinischem Einfluss und Bewachung geschehen muss."

Josefa sagt: “Ich bin eine gesunde junge Frau. Ich vertraue meinem Körper und der Natur, die alles so eingerichtet hat, dass eine Geburt nicht unter medizinischem Einfluss und Bewachung geschehen muss.”

Beim Gedanken daran, dass die Eins zu Eins Betreuung und Hausgeburten bald nicht mehr möglich sein könnten, wird es der erfahrenen Hausgeburts Mama Josefa ganz anders. Und ich muss sagen, ich teile ihre Auffassung voll und ganz. Sie hat mir geschrieben:

“Natürlich bin ich froh, dass es bei uns die Möglichkeit einer medizinischen Betreuung gibt. Bei meiner jüngsten Tochter Rosina waren wir nach der Geburt auf Grund eines Lungeninfekts auch einige Tage dort. Eine Geburt ist für mich aber überhaupt kein Grund von vorne herein in ein Krankenhaus zu gehen. Wenn ich mich nicht mehr entscheiden könnte wo ich meine Kinder zur Welt bringen darf, würde ich mich in meinen Rechten als freier Mensch beschnitten fühlen. Für mich ist diese Wahlmöglichkeit ein Menschenrecht, für dessen Einschränkung es keinerlei plausible Begründung gibt”

Der drohende Hebammennotstand geht uns alle etwas an. Mamas, Mums to be, Großeltern und Papas. Auf der Plattform http://www.unsere-hebammen.de/ könnt ihr euch informieren und mitmischen. Dort werden alle Aktionen gebündelt – und zu den anstehenden Bundestagswahlen hat der Hebammenverband einiges vor und braucht unsere Unterstützung.

Für meine schwangere Freundin (die lieber noch ungenannt bleiben mag, weil sie noch in der Frühschwangerschaft steckt) gab es übrigens ein Happy End: ich konnte sie erfolgreich an meine damalige Hebamme Melanie vermitteln.

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3 Comments

  • Reply Kinderheldin: Hebammen beantworten Fragen zu Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit - 6. November 2017 at 11:26

    […] sondern auch die freie Wahl des Geburtsortes. Darüber habe ich euch vor einiger Zeit schon etwas […]

  • Reply Geburtshilfe in Deutschland: "Man muss seinen Job schon sehr gerne machen..." - 23. Mai 2018 at 10:29

    […] in Deutschland stand es schon besser. Vom Hebammennotstand ist immer wieder die Rede. Auch ich habe darüber geschrieben. Die freie Wahl des Geburtsortes steht auf der Kippe. Nicht nur wegen der Hebammen. Obwohl es mehr […]

  • Reply Cytotec: Ein tiefer Vertrauensbruch. - Mum & still me 12. Februar 2020 at 20:28

    […] in eine Beleghebamme oder eine Doula als Vertrauensperson. Andere fühlten sich unter all diesen Bedingungen zuhause wohler und sicherer. Diese Entwicklung könnte sich in Zukunft noch verstärken, ist aber sozial […]

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