Kratzen bis aufs Blut: Neurodermitis bei Babys und Kleinkindern

5. April 2017
Kurzärmelig. Kurze Hosen. Unbeschwert im Garten planschen. Babyschwimmen. Überheizte Räume bei den Babykursen. Urlaub im Süden.

Das alles ist für die kleine Tochter von Gesine schwierig bis unmöglich. Der Grund: die Kleine leidet an Neurodermitis. Im Akutfall juckt und schuppt sich die Haut, der Drang zu Kratzen ist schier unaufhaltbar. Die Krankheit ist für das Baby und Kind, aber auch für die ganze Familie eine starke Belastung. Gesine will Betroffenen trotzdem Hoffnung geben und hat ein paar hilfreiche Tipps auf Lager…

Mum & still me: Wie und wann ging es los mit den Hautausschlägen?

Gesine: Eigentlich ist die Mini ein ganz „klassischer“ Neurodermitis-Fall. Sie hat die Allergiebereitschaft durch mich und meine Familie vererbt bekommen. Ich habe Heuschnupfen und zu bestimmten Pollenflugzeiten sogar allergisches Asthma.

Die Hautprobleme begannen bereits im zweiten Lebensmonat. Da entwickelte sie einen ziemlich starken Kopfgneis, der dann in einen hartnäckigen Milchschorf – einen klassischen Vorboten für Neurodermitis – überging. Diese beiden Begriffe werden ja gern wenig differenziert verwendet und ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Beim Kopfgneis handelt es sich meist um gelbliche Schuppen, die nicht jucken, während der Milchschorf Kratzen provoziert und eher rötlich und nässend ist. Ausserdem breitet er sich gern auf Augenbrauen und Wangen aus.

Da ich Kopfgneis bereits von meiner großen Tochter gut kannte, war ich anfangs noch ganz entspannt. Im dritten Lebensmonat allerdings zeigten sich die Hautausschläge eher entzündlich und stark nässend.

Und ab da wurde es lange, lange Zeit nicht besser.

Mum & still me: Was habt ihr als Erstes unternommen und wie ging es dir?

Gesine: Zuerst habe ich meine Hebamme um Rat gebeten. Sie hat mir schon in unzähligen Situationen ruhig und sehr kompetent zur Seite gestanden, egal worum es in beiden Schwangerschaft oder dem erstem Babyjahr ging. Sie riet mir zu Stiefmütterchentee in der äußerlichen Anwendung, hatte verschiedene, homöopathische Salben und Puder dabei und bestärkte mich darin, vorerst nicht zum Hautarzt zu gehen, wenn ich Kortison gegenüber skeptisch wäre.

Damit hatte sie mich natürlich – denn ich halte den verfrühten Gebrauch vieler Medikamente wie zum Beispiel Kortison oder auch Antibiotika für falsch.

Ich verurteile hier nichts, wirklich. Aber ganz häufig werden bei kleinsten Ekzemen bereits antibiotische und kortisonhaltige Salben verschrieben – und das bei minikleinen Babies mit extrem dünner Haut. Mein Bauchgefühl sagte einfach, dass das nicht gut ist.

Die Mini hat allerdings im vierten Lebensmonat eine so extreme Form der Neurodermitis entwickelt, dass ich das auch mit Umschlägen und Cremes nicht in den Griff bekommen konnte. Um ehrlich zu sein, war ich mit der Situation mehr als überfordert. Sie tat mir so unendlich leid. Vielleicht klingt es vermessen, denn ich bin mir bewusst, dass Neurodermitis keine Krankheit auf Leben und Tod ist. Aber psychisch ist sie eine wahnsinnige Herausforderung.

Dazu kommt, dass Neurodermitis zu einer Art Volkskrankheit avanciert. Die Zahl der Betroffenen hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht und heute leidet etwa jedes fünfte bis siebte Kind an der Hautstörung. Das heißt, dass so ziemlich jeder jemanden kennt, der betroffen ist oder aber ein Kind hat, das daran leidet, oder oder oder. Und jeder hat den ultimativen Tipp, die durchschlagende Creme, die ersehnte Linderung. Das ist unheimlich kräftezehrend. Und auch wenn ich weiß, dass es die Meisten wirklich nur gut meinen und Anteil an unserem Schicksal nehmen wollten – es hat es nicht leichter gemacht. Alles drehte sich ständig und ausschließlich um das Hautbild der Kleinen.

Manchmal fragte ich mich, ob die Leute überhaupt ihre wundervollen großen, blauen Augen sehen konnten, die ganz neugierig ihre Umwelt erforschten?

Da auch innerfamiliär der Druck wuchs, ließ ich mich überzeugen, die Mini doch verschiedenen Ärzten vorzustellen. Kinderarzt, Chefarzt der Hautklinik, Homöopath…da war alles dabei. Schulmedizinisch wurde uns immer wieder Kortison ans Herz gelegt. Wir probierten das am Ende auch aus und schmierten die Creme nach Vorschrift (erst jeden Tag und nach vier Tagen in einem ausschleichenden Rhythmus). Auch wenn danach die Haut immer schlechter war als vorher, so war es doch nicht umsonst. Die Creme gab uns Ruhe. Zeit zum Durchatmen und der Mini etwas Linderung.

Aus heutiger Sicht weiß ich, dass Kortison in keinem Fall eine Lösung ist. Denn es drückt die Ursache äußerlich weg, aber an den inneren Ursachen ändert sich meist nichts.

Mum & still me: Wie ist die Situation inzwischen? Wie ist es für die Kleine, dich als Mutter und euch als Familie?

Gesine: Der entscheidende Wendepunkt war für mich letztlich der stationäre Aufenthalt in einer Akutklinik, die nach einem kortisonfreien Konzept therapiert. Davon gibt es nicht allzu viele in Deutschland, daher sind die Wartezeiten relativ lang. Aber es finden sich Wege dorthin!

Endlich wurden wir verstanden. Endlich begab sich jemand auf die Suche.

Endlich erklärte mir jemand verständlich was im Körper meiner Tochter passierte ohne mich mit den Worten zu vertrösten: „Ach im ersten Lebensjahr verwächst sich das doch!“.

Durch Untersuchungen des Stuhls und Blutes wurden verschiedene Mängel und eine starke Pilzinfektion festgestellt. Die pathologischen Befunde wurden dann Schritt für Schritt behoben, der Darm mit viel Probiotika wieder ins Gleichgewicht gebracht und die Haut wurde mit viel Zink und Pflege wieder zum abheilen gebracht. Eine Umstellung von Muttermilch auf Spezialnahrung brachte erstmal Ruhe. Das war für mich als absolut überzeugte Stillmama ein ganz schwerer Schritt. Die Mini war zu dem Zeitpunkt fast 8 Monate voll gestillt, immerhin. Und bei ihren multiplen Nahrungsmittelunverträglichkeiten hätte ich mich noch lange sehr extrem eingeschränkt ernähren müssen – das ging einfach nicht für mich.

Heute testen wir noch immer stark, welche Lebensmittel vertragen werden und worauf sie reagiert. Ich habe das Gefühl, dass ihr ganzes Immunsystem etwas stabiler und sie Stück für Stück toleranter wird. Der Weg ist trotzdem noch sehr steinig und begleitet von einem ständigen Auf und Ab. Wenn die Mini zahnt, sieht sie im Gesicht beispielsweise ganz wild aus. Mit Beginn des Pollenfluges explodierte dieses Frühjahr ihre Haut – also ständig neue Dinge, die sie aus der Fassung bringen können.

Ich lerne jeden Tag und es gibt Momente, da knicke ich wieder ziemlich in mich zusammen.

Ich bin es ganz schön leid, was viele Ärzte und Pharmaunternehmen uns so mitgeben. Wusstet ihr zum Beispiel, dass in nahezu allen konventionellen Cremes Erdöl als Basis mit verwendet wird? Oder dass Mandelöl sehr allergen ist und im ersten Jahr nicht verwendet werden sollte?

Als Mama versuche ich die Haut der Mini nicht überzubewerten oder ihr mehr Bedeutung beizumessen, als nötig. Auch im Sinne der Großen will ich da kein zu großes Augenmerk drauf legen. So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Eh einer der besten Grundsätze, wie ich finde.

Mein Mann ist der Rationalste von uns und ich bin ihm sehr dankbar, dass er hinter mir und der Entscheidung kein Kortison zu cremen, steht. Das ist anfangs nicht selbstverständlich für mich gewesen. Er sagt: „Sie hat noch so viel vor sich und wird sich wahrscheinlich nicht einmal mehr daran erinnern können.“ Und das, finde ich, ist ein schöner Gedanke, der mich durch Schübe trägt.

Mum & still me: Welchen Rat hast du für andere Betroffene, bzw. welche Erfahrungen waren für dich besonders wertvoll?

Gesine: Nun ja, ich würde Jedem empfehlen, ein wenig über den Tellerrand hinaus zu recherchieren. Neurodermitis ist leider eine so komplexe Krankheit mit ganz vielen, individuellen Auslösern, dass es einfach kein Patentrezept geben kann. Ruhigen Gewissens kann ich die Kliniken in Leutenberg (http://www.schlossfriedensburg.de) und Neukirchen (http://www.spezialklinik-neukirchen.de) empfehlen.

Wir fahren heute ganz gut mit einer Basispflege, die ich allerdings nur nutze, wenn die Haut nicht super ist.

Ich glaube, dass die Haut lernen sollte, sich selbst zu fetten. Also wieder: nur so viel, wie nötig.

Außerdem bekommt die Mini regelmäßig Basenbäder, die den Juckreiz lindern und der Haut beim entgiften helfen. Da gibt es ganz gute und günstige, zum Beispiel bei DM. Alternativ ist auch ein Bad in Haferflocken toll (Haferflocken in eine Socke und rein ins Wasser). Nahrungstechnisch probieren wir noch, meiden aber Weizen, tierische Milch und Ei. Ich versorge sie täglich mit Vitamin D und K (gibt es kombiniert als Tropfen – die finde ich besser als z.B. Vigantoletten), Zink (weil ihre Haut einfach sehr viel davon verbraucht), Vitamin C (hilft bei Allergien) und zur Pollenflugzeit mit einem Antihistaminikum. Das ist allerdings echt ein Notfallmedikament – hilft aber, den extremen Juckreiz in den Griff zu kriegen, wenn die Birke fliegt. In Akutschüben probiere ich immer noch aus. Manchmal hilft eine zinkhaltige Creme (gibt es mit ganz wenigen, hypoallergenen Inhaltsstoffen z.B. von Dr. Beckmann), manchmal braucht es eine reichhaltige Pflege mit Sheabutter und B12. Ihr seht- das ist ganz individuell und komplex. Wir haben gelernt: Neurodermitis ist eine Störung des Immunsystems und kann nicht einfach so weggecremt werden. Mit etwas Glück reift das Immunsystem so, dass es nicht „überschießt“ und die immunologische Antwort an die Haut trägt. Und darauf hoffen wir!

 

Mehr Infos zu Neurodermitis und der Kortison freien Behandlung der Hauterkrankung gibt es auch hier: http://www.cortisonfrei.eu

 

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