Auftakt zum Themenspecial: Bildung für nachhaltige Entwicklung – Kinder stark machen.

8. August 2018

Die Wälder brennen im hohen Norden. Uralte Gletscher, altes Eis – plötzlich weggeschmolzen. Ganze Ernten sind dahin, Flüsse trocknen aus. Menschen müssen ihre Heimat verlassen, weil man dort nicht mehr überleben kann. Zum Teil, weil es dort zu heiss geworden ist und nichts mehr wächst. Zum Teil, weil der angestiegende Meeresspiegel das Zuhause dieser Menschen schlicht überschwemmt hat. Das entspringt keinem Science Fiction Roman. Das alles passiert jetzt gerade in diesem Augenblick. Während ich diese Zeile schreibe, hat es draußen 36 Grad. Gerade erst gestern hörte ich einen Forscher des Potsdamer Klimainstituts von einer „Heißzeit“ sprechen, die auf uns zurollt.

Neben mir liegt mein Kleinster. Er schnauft friedlich, nichtsahnend. Gut – er trägt keinen Body. Dafür ist es gerade einfach viel zu heiß. Auf ihn werden große Herausforderungen zukommen.

Umwälzungen, neue Krankheiten, vielleicht auch Krieg.

Ich sage es ehrlich: ich habe Schiss. Seit Tagen habe ich ein düsteres Gefühl, träume schlecht. Ich kann diesen Sommer nicht mehr unbedarft genießen. Ich mache mir Sorgen. Was kommt da auf uns zu? Wie werden unsere Kinder es schaffen, damit umzugehen?

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Ein Konzept um Lösungen zu finden und Strategien für die Zukunft zu entwickeln nennt sich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Dieses Bildungskonzept will ich euch in den nächsten Wochen und Monaten näher vorstellen. Weil damit Kompetenzen Hand in Hand gehen, die unsere Kinder brauchen werden, wenn sie die Zukunft nachhaltig gestalten wollen.

Prof. Dr. Marco Rieckmann / Bildquelle: Universität Vechta

Prof. Dr. Marco Rieckmann / Bildquelle: Universität Vechta

Zum Auftakt habe ich Prof. Dr. Marco Rieckmann interviewt. Er ist Professor für Hochschuldidaktik, Schwerpunkt Schlüsselkompetenzen an der Universität Vechta.

Mum & still me: Bildung für nachhaltige Entwicklung – was ist das in ganz einfachen Worten?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Bildung für nachhaltige Entwicklung – kurz: BNE – ist ein Bildungskonzept, das darauf abzielt, Individuen zu befähigen, zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.

Eine nachhaltige Entwicklung meint eine solche Entwicklung, die zu mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd und innerhalb aller Länder sowie zu mehr Gerechtigkeit zwischen heutigen und zukünftigen Generationen führt.

Um Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten zu können, müssen Menschen in der Lage sein, aktuelle nicht-nachhaltige Entwicklungen (z.B. Klimawandel, Artensterben, Armut) zu verstehen und an Lösungen für diese Problemfelder mitzuwirken.

Dazu brauchen sie bestimmtes Wissen und bestimmte Kompetenzen, die im Rahmen von BNE entwickelt werden sollen.”

Mum & still me: Wieso ist Bildung für nachhaltige Entwicklung in Ihren Augen so ein wichtiges Thema?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Es gibt heute viele große Herausforderungen, die eine Bedrohung für die Menschheit und für die globalen Ökosysteme darstellen. So z.B. der Klimawandel und das Artensterben, aber auch die globale Armut.

Um diese Problemlagen zu bewältigen, haben die Vereinten Nationen im Jahr 2015 die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) – oder auch: Ziele für nachhaltige Entwicklung – verabschiedet.

Damit diese Ziele erreicht werden können, müssen wir alle Beiträge leisten. Bildung für nachhaltige Entwicklung kann uns mit dem dafür nötigen Wissen und den erforderlichen Kompetenzen ausstatten.”

Mum & still me: Was ist die wichtigste Kompetenz, die wir unseren Kindern in dem Kontext vermitteln sollten?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Kompetenzen lassen sich nicht vermitteln, aber wir können als Lehrende, aber auch als Eltern Kontexte schaffen, in denen Kinder Kompetenzen selbst entwickeln können.

Im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung sind z.B. die Kompetenz zum Vernetzen Denken (Verstehen komplexer globaler Zusammenhänge, Erkennen von Wechselwirkungen zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomie, etc.) oder die Kompetenz zum Vorausschauen Denken (Erkennen von möglichen zukünftigen Folgen eigener Handlungen, Entwickeln von Zukunftsszenarien, etc.) von besonderer Bedeutung. Diese Kompetenzen lassen sich am besten in Situationen entwickeln, wo vernetztes Denken oder vorausschauendes Denken erforderlich ist.”

“Wir können Kinder nicht für die Rettung der Welt verantwortlich machen”

Mum & still me: Ich versuche ein paar Dinge um nachhaltig zu leben, bin aber alles andere als ein Vorzeige-Öko. Können Kinder denn überhaupt ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung der Erde leisten, wenn wir selbst keine „perfekten“ Vorbilder sind? Und dürfen wir das dann überhaupt von Ihnen erwarten?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Nein, wir können Kinder nicht für die Rettung der Welt verantwortlich machen. Das wäre eine absolute Überfrachtung und Überforderung. Aber wir können sie dabei unterstützen, sich mit Fragen einer nachhaltigen Entwicklung auseinander zu setzen und Kompetenzen für nachhaltigeres Handeln zu entwickeln.

Damit helfen wir ihnen dabei, sich in einer immer komplexer werdenden Welt zurecht zu finden, und kleine Beiträge zu leisten, sie zu einer besseren Welt zu machen.

Wenn sie dies denn möchten. Denn letztlich bleibt es jeder und jedem selbst überlassen zu entscheiden, wie sie oder er sich verhalten möchte. Bildung kann hier nur Voraussetzungen schaffen und Anstöße geben.”

“Eine andere Welt ist möglich”

Mum & still me: Was glauben Sie – eine nachhaltige Entwicklung, kann das wirklich gelingen? Läuft das weltweit nicht gerade in eine ganz andere Richtung?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Eine nachhaltige Entwicklung wird nicht von heute auf morgen Wirklichkeit werden. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns; ich halte es aber für möglich, diesen Weg einzuschlagen. Und z.B. mit dem Verbot von FCKW, der Förderung erneuerbarer Energien, der zunehmenden Verbreitung von Car-Sharing oder der Abnahme der absoluten Armut zumindest in einzelnen Ländern gehen wir bereits Schritte in diese Richtung.

Von daher würde ich sagen: Eine andere Welt ist möglich.”

Was könnte die Politik beitragen? Wo sind wir Bürgerinnen und Bürger gefragt?

Prof. Dr. Marco Rieckmann: “Die Politik müsste noch viel stärker Nachhaltigkeitsprinzipien bei allen Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. Es gibt viele Politikfelder – wie z.B. Klimaschutz, Flächenverbrauch, Landwirtschaft, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter -, in denen noch viel mehr getan werden müsste.

Wir Bürgerinnen und Bürger sind einerseits als Konsument*innen, die bewusste Entscheidungen treffen, aber auch genauso als Wähler*innen, politisch Aktive oder auch als ehrenamtlich Engagierte gefragt.

Es braucht gleichzeitig eine Nachhaltigkeitspolitik und Nachhaltigkeitsbürger*innen. Aber vor allem auch eine viel nachhaltigere Wirtschaft.”


In den kommenden Wochen und Monaten will ich euch in meinem Special die Kompetenzen der BNE etwas näher vorstellen. Was genau wir und unsere Kinder lernen können, wie das gehen könnte und wie wir damit unsere Zukunft nachhaltig gestalten können.

Seid ihr an Bord?

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5 Comments

  • Reply Sunny 9. August 2018 at 08:14

    Voll gut! <3 Bin sehr gespannt! Und sehr glücklich, dass ich einem Blog folge der mal was anderes als „das perfekte Insta-Kinderzimmer“ oder ähnliches thematisiert! Danke dafür <3

    • Reply Sabine Ponath 9. August 2018 at 08:17

      Danke danke danke! Ich freu mich so sehr über Rückmeldung wie deine!

  • Reply Sarah 9. August 2018 at 22:19

    Sehr interessant und ich bin richtig gespannt. Ich versuche auch bewusster in Nachhaltigkeit zu leben. Ich bin auch nicht Öko, aber ich glaube wenn wir den Kids ein Bewusstsein vermitteln können, ist das schon die halbe Miete.
    Weiter so, Sabine. Ich bin gespannt ❤️

  • Reply Gestaltungskompetenz Wie unsere Kinder Nachhaltigkeit lernen - Mum & still me 5. Dezember 2018 at 22:11

    […] Schwerpunkt Schlüsselkompetenzen an der Universität Vechta, hat mir dazu im August ein Interview […]

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