Berlin. Der kleine Lukas hat hohes Fieber, schon seit drei Tagen. Er ist plötzlich apathisch. Es ist Sonntag Abend. Seine Eltern bringen Lukas auf die Notaufnahme – aber dort wird die Familie nach einer kurzen Erstversorgung an das Krankenhaus nach Cottbus verwiesen. Es gibt zwar Betten, aber nicht genügend Leute um Lukas zu pflegen.
Klingt nach einen Albtraum, ist so ähnlich aber bittere Realität an vielen Krankenhäusern in Deutschland. Schleichend hat sich der Pflegemangel zu einer Katastrophe entwickelt. Ein befreundeter Arzt schrieb mir:
“Obwohl die Betten da sind und Platz wäre, Patient*innen aufzunehmen, obwohl es Ärzt*innen gibt und Therapeut*innen, müssen geplante Patient*innen abbestellt, Operationen verschoben und Notfallaufnahmen in andere Krankenhäuser (zum Teil auch außerhalb des Bundeslandes) verlegt werden.”
Pflegenotstand in Deutschland
Ich erinnere mich noch gut daran: etwa vor einem Jahr zur Weihnachtszeit wurde meine Schwangerschaft im Krankenhaus überwacht. Eigentlich nur, weil ich zuvor einen Kaiserschnitt hatte und die Narbe angeschaut werden sollte. Dabei entdeckten die Ärztinnen, dass mein Winterbaby nicht mehr gut versorgt wurde und die Geburt eingeleitet werden musste. Ich bin unglaublich dankbar für die verantwortungsvolle Arbeit der Ärztinnen, aber auch für die liebevolle Betreuung durch die Krankenschwestern. An Silvester hatte ich mein Baby auf der Brust liegen und ein Glas alkoholfreien Sekt in der Hand um mit der Stationsschwester anzustoßen.
Ein Moment des Glücks.
Dabei habe ich ganzschön Glück gehabt, denn die Krankenhäuser pfeifen aus den letzten Löchern.
Über Jahre hinweg wurden Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen umgestaltet. Um gewinnbringend arbeiten zu können, sparten viele Einrichtungen da, wo es auf den ersten Blick vermeintlich nicht so weh tat: bei den Krankenpfleger*innen. Der oben zitierte Arzt erklärte mir, was das konkret bedeutete:
“Statt drei Schwestern pro Station mussten dann zwei Schwestern die selbe Arbeite machen, später dann eine Schwester mit einer Hilfskraft und irgendwann auch eine Schwestern allein im Nachtdienst.”
Es ist sogar noch krasser: An vielen Häusen (privat oder nicht) werden Pflegeleitungen und Geschäftsführern großzügige Boni gezahlt, wenn sie in der Lage sind, die Zahl der Pflegenden zu reduzieren ohne gleichzeitig die Zahl der Patienten zu reduzieren. Diese bewusst gesetzten finanziellen Anreize haben vielerorts zu völlig überzogenen Kürzungen und waghalsigen, riskanten Pflegebesetzungen geführt – während die Leitung kassierte.
Der Pflegejob ist ein Knochenjob und muss besser anerkannt werden
Daneben haben auch viele Pflegekräfte ihren Job an den Nagel gehängt. Gleichzeitig gibt es kaum noch qualifizierten Nachschub an Fachkräften. Kein Wunder: Frustration über die mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit, die unangemessen niedrige Entlohnung, anspruchsvolle Dienstzeiten, harte Arbeit mit Kontakt zu viel Körperflüssigkeiten, Gewalt, Unzufriedenheit, Leid, Tod. Der Pflegejob ist ein Knochenjob, wird gesellschaftlich aber nicht entsprechend gewürdigt.
Die Folge: Kranke Menschen können zum Teil nicht mehr gut versorgt werden. Es wird mitunter einfach nicht gesehen, wenn der Zustand von Patient*innen sich plötzlich verschlechtert. Oder aber es entstehen Fehler durch stressgeschuldete Unaufmerksamkeit bei der Medikation oder wenn die Pflegenden nicht auf ausreichende Desinfektion achten. Das so etwas angesichts der Belastung passieren kann, ist menschlich und für mich nachvollziehbar.
Besonders schwerwiegend ist die Situation auf der Intensivstation: ein einzelnes gesperrtes Bett kann schon bedeuten, das ein lebensbedrohlich erkrankter Patient keine adäquate Behandung erhält. Oft können diese Menschen auch nicht mehr verlegt werden.
Auch die Pflegesituation in der Notaufnahme ist katastrophal – so dass Leasing-Kräfte oder Medizinische Fachangestellte Aufgaben übernehmen müssen, für die sie nicht geschult sind. Auch Ärzt*innen müssen Pflegeaufgaben übernehmen, was wiederum zu längeren Wartezeiten führt.
Die Lage ist katastrophal – und jetzt?
Ein Krankenhaus kann kein Wirtschaftsbetrieb sein. Pflegekräfte sind mehr als einfache Arbeitskräfte. Sie sind überlebenswichtige Leistungsträger und müssen entsprechend anerkannt werden. Sowohl von der Wertschätzung als auch klar finanziell über das Gehalt.
Außerdem muss das Misstrauen zwischen Krankenhausleitung und Pflegesektor wieder aufgebaut werden. Die Politik kann zu beidem beitragen, kann aber auch Geld in die Hand nehmen um die Ausbildung zu stärken und attraktiver zu gestalten oder beispielsweise Teilzeitausbildungsplätze zu schaffen. So wie es einen Betreuungsschlüssel in Kitas gibt, muss es auch festgeschriebene Mindestbesetzungen in Krankenhäusern geben, die als Zielmarke gelten müssen.
Die Bundesregierung hat das Problem erkannt – gebannt ist die Gefahr trotzdem nicht
Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat die Bundesregierung einen ersten Aufschlag gemacht. Die Sache hat nur einen Haken: Nur in der Krankenhauspflege sollen neue Stellen und Tarifsteigerungen komplett refinanziert werden. Es droht eine Abwanderung aus anderen Pflegebereichen. Und: Die von der Bundesregierung vorgesehenen 13.000 Stellen in stationären Pflegeeinrichtungen reichen bei Weitem nicht aus. Immerhin wird die tarifliche Bezahlung in der ambulanten Pflege mitfinanziert. Es bleibt also abzuwarten, ob und inwiefern die Gesetzesinitiative der GroKo einschlägt. In den nächsten Wochen, gerade jetzt an den Feiertagen jedenfalls laufen alle Stationen in den Krankenhäusern auf Volllast.
3 Comments
[…] es immer wieder zu Gewalt unter der Geburt kommt, dass eine gute Betreuung unter dem gegenwärtigen Personalmangel kaum möglich ist und und und: all das war schon schlimm genug. Wer es sich leisten konnte, […]
[…] hat eine begrenzte Kapazität (die ohnehin schon nicht ideal aufgestellt war, siehe auch hier). Wenn diese Kapazität durch einen starken Anstieg an behandlungsbedürftigen C-Patient*innen […]
[…] Sabines Artikel zum Thema Pflegenotstand könnt ihr hier nachlesen. […]