Was wir jetzt gegen Desinformation tun müssen.

3. Juli 2024
Sabine blickt nachdenklich in die Kamera und trägt eine Kappe mit der Aufschrift Good News

Lügen haben kurze Beine, sagt man. Aber was ist, wenn das gar nicht stimmt? Was ist, wenn es sich für manche lohnt, zu tricksen, zu täuschen und auch glatt zu lügen? Mich hat in letzter Zeit sehr beschäftigt, wie wir mit Desinformation umgehen können – kurz- und langfristig. Ich hab euch das hier mal zusammen gefasst. Und auch geschrieben, warum die EU hier sehr wichtig ist.

Wo ist überhaupt das Problem?

Die Art wie und über was berichtet wird, prägt unsere Wahrnehmung enorm. Kürzlich machte eine Studie des Wissenschaftszentrum Berlin Schlagzeilen, nach der Ex-noAfD Mitglieder deutlich happier und befreiter durchs Leben wandeln würden, nach dem sie von dieser Partei Abstand nahmen. Warum? Weil sie sich nicht mehr der ständigen Angstmache und den Negativbotschaften aussetzten. (Quelle: https://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/afd-waehlen-macht-ungluecklich)

Umgekehrt gilt das genauso:

Aber auch andere Parteien und selbst große Medienhäuser bedienen sich der Social Engineering Trickkiste und bringen verkürzte und zum Teil unwahre Botschaften in die Menge. So zum Beispiel geschehen beim Heizungsgesetz, vgl. https://uebermedien.de/84671/wie-und-warum-schueren-medien-angst-vor-dem-geplanten-heizungsgesetz/

Aber was sind eigentlich Desinformationen?

Nun sind einige Begriffe gefallen. Tendenziöse Berichterstattung und Negativschlagzeilen sind unschön, gehören aber zur Meinungsfreiheit in unserem Land. Kritischer sehe ich bewusste Desinformationen. Die Bertelsmann Stiftung definiert sie in ihrer Studie “Desinformation: Herausforderung für die Demokratie” so:

Desinformationen sind Falschnachrichten, die von ihren Produzent:innen absichtlich und mit dem Ziel, einen Schaden anzurichten, verbreitet werden. Damit unterscheiden sie sich von Fehl- oder Misinformationen, die zwar genauso falsch sind, jedoch unbeabsichtigt in Umlauf geraten, und von Schadinformationen (Malinformation), die zwar auch mit der Absicht verbreitet werden, Schaden anzurichten, jedoch im Gegensatz zu Desinformationen den Tatsachen entsprechen.

Die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung nutzt den Begriff Fake News und differenziert noch ein wenig mehr aus (Quelle: https://demokratie.niedersachsen.de/startseite/themen/digitalisierung/fake_news/fake-news-eine-gefahr-fuer-die-demokratie-167063.html):

Mit Fake News wird meist ein bestimmtes Ziel verfolgt und versucht Einfluss auf politische, gesellschaftliche oder ökonomische Entwicklungen zu nehmen. Gerade diese Eigenschaft unterscheidet Fake News von anderen Falschmeldungen, wie etwa Satire oder versehentlichen Falschmeldungen, die in der Regel aber korrigiert werden. Ebenso sind Fake News von Verschwörungstheorien zu unterscheiden, auch wenn zwischen diesen beiden die Grenzen unscharf sind. So sind letztere nicht immer gleich Fake News und Fake News sind nicht immer unbedingt Verschwörungstheorien

Nicht wissen, was wahr ist?

Mir geht es manchmal so, dass ich mich fast erschlagen fühle von dem, was wir Privatpersonen alles leisten sollen. Wir sollen das Klima retten und die Demokratie und ach, eigentlich die ganze Welt. Und klar: wir sollen selbst Informationen kritisch in Frage stellen und Recherche betreiben. Wenn ich Kapazitäten habe, dann mache ich das. Aber ich bin der Meinung, wir haben mit einem strukturellen Problem zu tun. Mit einem, das unsere Demokratie und unseren Zusammenhalt auf den Prüfstand stellt.

Nicht nur ich hadere:

Die oben bereits genannte Untersuchung der Bertelsmann Stiftung hat gezeigt, “dass trotz verbreiteter Unsicherheit die Bereitschaft, Informationen aktiv zu überprüfen, gering ist. Wenn gut 60 Prozent derer, die in jüngster Zeit unsicher ob des Wahrheitsgehalts einer Internetinformation waren, diese Information nachrecherchiert haben, sind knapp 40 Prozent untätig geblieben. Noch geringer ist in dieser Gruppe die Bereitschaft, aktiv gegen falsche Informationen vorzugehen. Unsicherheit hemmt also Handlungsoptionen, nicht zuletzt deswegen, weil sie eben für das steht: nicht zu wissen, was wahr ist.”

Für strukturelle Probleme, braucht es strukturelle Lösungen. Und immerhin: die gibt es seit Kurzem!

Jetzt kommt die EU ins Spiel…

Ich finde, der Digital Services Act (DSA) ist ein Meilenstein und ein guter Anfang. Dieses neue EU Instrument hat zum Ziel, ein sichereres und transparenteres Online-Umfeld zu schaffen. Im Kontext von Desinformation hat der DSA verschiedene Mechanismen und Maßnahmen eingeführt, die da wirklich funktionieren könnten:

  • Verpflichtung zu transparenten Algorithmen: Plattformen müssen offenlegen, wie ihre Empfehlungs- und Sortieralgorithmen funktionieren. Dies hilft Nutzern zu verstehen, warum bestimmte Inhalte angezeigt werden, und kann die Verbreitung von Desinformation eindämmen.
  • Kennzeichnung von Inhalten: Plattformen sind verpflichtet, Anzeigen und gesponserte Inhalte klar zu kennzeichnen. Dies erschwert es, Desinformation in Form von getarnter Werbung zu verbreiten.
  • Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit Faktenprüfern: Große Plattformen müssen mit unabhängigen Faktenprüfern zusammenarbeiten und Maßnahmen ergreifen, um als falsch identifizierte Inhalte zu kennzeichnen oder deren Verbreitung zu reduzieren.
  • Melde- und Abhilfeverfahren: Nutzer haben das Recht, verdächtige Inhalte zu melden, und Plattformen müssen effiziente Verfahren zur Überprüfung und gegebenenfalls Entfernung dieser Inhalte implementieren. (Wobei das vielleicht nicht das wirksamste Instrument sein dürfte, wenn man auf die Ergebnisse der Bertelsmann Stiftung Studie guckt, s.o.)
  • Transparenzberichte: Plattformen müssen regelmäßige Berichte veröffentlichen, die detailliert aufzeigen, wie sie mit illegalen Inhalten und Desinformation umgehen. Dies erhöht die Rechenschaftspflicht und fördert bewährte Verfahren.
  • Risikobewertung und Risikominderung: Sehr große Online-Plattformen müssen regelmäßige Risikobewertungen durchführen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, wie die Verbreitung von Desinformation, zu identifizieren. Sie müssen auch Maßnahmen zur Risikominderung umsetzen.
  • Forschung und Datenzugang: Der DSA ermöglicht es Forscher*innen, Zugang zu anonymisierten Daten von Plattformen zu erhalten, um Studien über die Verbreitung und Wirkung von Desinformation durchzuführen.
  • Sanktionen und Durchsetzung: Der DSA sieht strenge Strafen für Plattformen vor, die ihre Pflichten vernachlässigen, einschließlich hoher Geldstrafen. Diese Durchsetzungsmaßnahmen sollen sicherstellen, dass Plattformen ihre Verantwortung ernst nehmen. Tatsächlich hat die EU-Kommission Anfang des Jahres ein förmliches Verfahren gegen Tik Tok eingeleitet: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/dsa-eu-kommission-leitet-formliches-verfahren-gegen-tiktok-ein-2024-02-19_de

Durch diese Maßnahmen hat der DSA das Potenzial, wesentlich dazu beizutragen, Desinformation im digitalen Raum zu bekämpfen. Wie das funktionieren wird, wird man sehen. Das Instrument ist ja erst seit diesem Jahr in Kraft getreten.

Aber ich finde, das reicht nicht.

Bildung ist die Basis

Wenn wir als Gesellschaft stark gegen Desinformation und Spaltung sein wollen, dann muss die Politik investieren. Und zwar in Bildung.

  • Wir brauchen dringend mehr und bessere “niedrigschwellige, passgenaue Medienbildungs- und Aufklärungsangebote” (Bertelsmann Stifung, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/ST-DZ_Desinformation_Herausforderung_fuer_die_Demokratie_Europa_2023.pdf) – und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche. Sondern gerade auch für Ältere und für Menschen, die weniger Bildung erfahren haben. Die Studie der Bertelsmann Stiftung hat festgestellt: “Wenn fast jede:r Vierte ohne formalen Bildungsabschluss gar keine Desinformation wahrnimmt, sind die Manipulationsmöglichkeiten in dieser Zielgruppe hoch.”
  • Medienbildungsangebote in den Schulen müssen kontinuierlich weiterzuentwickelt werden, angepasst an sich veränderndee technologischen Möglichkeiten. Das Ganze natürlich entsprechend mit dynamischen Lehrkräfteweiterbildungsmöglichkeiten. (ebenfalls aus der Studie der Bertelsmann Stiftung)
  • Die Stiftung greift aber auch auf, dass die Wissenschaft gefordert ist, Vertrauen herzustellen. Denn wir brauchen “grundlegende Maßstäbe, um Verständigung zu ermöglichen. Dazu zählen etwa die wissenschaftliche Überprüfung und Einordnung von Informationen.” Nur nützt es nichts, wenn die wissenschaftliche Arbeit per se dann in Frage gestellt wird…
  • Die Stiftung schlägt außerdem vor: Ein systematisches Monitoring des Phänomens Desinformation in Deutschland und Europa sicherzustellen: “Nur wenn sichergestellt ist, dass vertrauensvolle und kompetente Stellen flächendeckendes Monitoring betreiben, lassen sich das Ausmaß und die Wirkungsweise von Desinformationen verlässlich abschätzen.”

Also zusammenfassend:

So ganz kommen wir nicht davon. Wir müssen Fact Checking betreiben, bzw. Quellen hinterfragen oder mögliche Interessen der Urheber*innen so mancher Botschaften. Da ist jedoch bei der Bildungsarbeit und Unterstützung von Medienkompetenz wirklich noch Luft nach oben. Und so schwierig es in der Haushaltslage auch sein mag: ich finde die Bundesländer und auch der Bund sind gut beraten, Bildung nicht als “weiches” Thema zu verstehen, sondern als Anker des sozialen Zusammenhalts.

Gleichzeitig ist es richtig gut, dass mit dem DSA jetzt ein systematisches Instrument geschaffen wurde, das auch die Anbieter in die Verantwortung nimmt. Ich hoffe, das Ding hat auch Zähne und wird kein träger Papiertiger.

Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des DSA schreibt die Bundesregierung: Unabhängig hiervon können Strafverfolgungs- und Marktüberwachungsbehörden ebenso wie die Landesmedienanstalten weiterhin jederzeit gegen rechtswidrige Inhalte vorgehen. Ich sag mal so: dann brauchen die auch Stellen, effiziente Verfahren und am Ende des Tages: Geld.

Demokratie kostet. Aber sie ist es wert.

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  • “Faktenstark” ist eine gemeinsame Initiative von Bertelsmann Stiftung, Amadeu Antonio Stiftung und codetekt e.V.. Ihr Ziel ist es, die Nachrichtenkompetenz von Bürger*innen zu stärken und ihnen Strategien an die Hand zu geben, um Desinformationen zu erkennen und entgegenzutreten. Infos: https://faktenstark.de/ + https://www.instagram.com/faktenstark/
  • Buch: “Wie Gefühle Politik machen“ von Prof. Dr. Maren Urner
  • Buch: „Was Populisten wollen – und wie man ihnen begegnen sollte“ von Marcel Lewandowsky
  • Bertelsmann Stiftung Studie “Desinformation: Herausforderung für die Demokratie”

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