Unser Leben hat sich in den letzten Jahren extrem geändert. Die Geschwindigkeit, die Art zu kommunizieren und das Vernetztsein im digitalen Äther, das ist alles nie dagewesen. Wir stehen als Menschen vor der Herausforderung, mit transhumanen, digitalen Kommunikationsmitteln klar zu kommen. Dass das nicht so einfach aufgeht, hat @yvonne_tollabea gerade auf Instagram zum Thema gemacht. „Die Häufigkeit von Suiziden hat sich in den USA innerhalb weniger Jahre bei jungen Mädchen verdoppelt!“, schrieb sie dort. Ich habe mich gefragt: Ist das so klar auf den Gebrauch von Smartphones zurück zu führen? Gibt es so etwas wie digitale Depression wirklich?
Digitale Depression – Was es damit auf sich hat
Den Begriff der „Digitalen Depression“ haben die Professorin Dr. Sarah Diefenbach und Daniel Ullrich mit ihrem Buch geprägt (Affiliate-Link zu Amazon: „Digitale Depression“). Allerdings beschreiben die Autor*innen vielmehr die Auswirkung von interaktiver Technologie auf unser Glücksempfinden. Die These ist: digitalen Gadgets und Social Media widmen wir mehr Aufmerksamkeit als dem echten Erleben. Im schlimmsten Fall könne das beispielsweise dazu führen, dass wir einen wunderschönen Sonnenuntergang nicht mehr genießen können, wenn wir nicht auch zugleich Fotos davon machen können um sie mit einer Community zu teilen. Oder wir sind im Gespräch abgelenkt, weil wir währenddessen aufs Smartphone gucken. Die Autor*innen nennen das „Glücksfallen“. Ich finde den Ansatz spannend, denn es geht nicht darum, technischen Fortschritt generell zu verteufeln, sondern bewusster im einzelnen zu hinterfragen: tut mir das eigentlich wirklich gut?
Social Media als Verstärker
Auch wenn die „Digitale Depression“ an sich kein anerkanntes Krankheitsbild ist, so legen immer mehr Studien nahe, dass Social Media als Verstärker von negativen Gefühlen funktionieren kann oder gar zu Depressionen führen können. Am meisten diskutiert wurde in diesem Jahr die amerikanische Studie der Jugendpsychologin Jean Twenge. In einer Langzeituntersuchung stellte sie fest, dass mit der Einführung und Etablierung von Smartphones auch die Raten von Depression und Selbstmord stiegen. Vor allem Mädchen und junge Frauen sind betroffen. Den Grund sieht Twenge darin, dass Frauen sich vermehrt in sozialen Netzwerken aufhalten und sich vergleichen, bis sie unter Depressionen auslösenden Symptomen wie Konkurrenzdruck, verzerrten Selbstbildern und Schlafstörungen leiden.
Weiteres Problem ist der so genannte Werther Effekt: über Serien, das Internet und Social Media geraten wir leichter an Informationen und falsche Vorbilder vor dem Hintergrund von Selbstverletzung oder gar Suizid. „Wird das Thema Selbsttötung in der Öffentlichkeit prominent behandelt, etwa weil sich ein Star das Leben genommen hat, steigt die Suizidrate. Noch stärker ist dieser Effekt, wenn Details über den Selbstmord publik werden, die Tat legitim erscheint oder romantisiert wird.“ Dazu gab es eine Riesendebatte rund um eine Netflix Serie, in der der Selbstmord eines Teenagers aufgeklärt wurde und die Betroffene zugleich als Identifikationsfigur stilisiert wurde.
Im vergangenen Jahr wurde auch in Deutschland eine Studie der DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen veröffentlicht. Demnach entstehen durch „die intensive Nutzung (…) gesundheitliche Probleme. Es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Sucht und Depressionen. „Die sozialen Probleme sind vielfältig: zu wenig Schlaf, Realitätsflucht und Streit mit den Eltern.“ Tatsächlich ist das Risiko von Menschen, die von sozialen Medien abhängig sind, an einer Depression zu erkranken, um den Faktor 4,6 höher als bei Nicht-Süchtigen.
Ist Social Media also Teufelszeug?
Vielleicht ahnt ihr an der Art und Weise, wie ich diese Überschrift platziere, dass ich die Studienergebnisse mit Vorsicht betrachte. Denn allen Studien ist gemein, dass die Korrelation zwischen Digitalen Medien und Depression nicht ganz geklärt ist. So etwa schreiben die Autor*innen der DAK Studie: „Über Ursache und Wirkung haben wir noch keine Erkenntnisse (…) Natürlich kann es auch sein, dass sich depressive Kinder und Jugendliche häufiger in die virtuelle Welt zurückziehen und deshalb ein Suchtverhalten entwickeln.“ Insbesondere die Auswertung der Daten von US-Jugendpsychologin Twenge sei nicht unkritisch, denn sie habe einzelne Studienergebnisse herausgepickt um ihre These zu stützen (Zum Weiterlesen: No, smartphones have not destroyed a generation) . Zwar gibt es reichlich Indizien für Zusammenhänge zwischen Digitalkonsum und psychischen Erkrankungen, aber:
„Indizien sind keine Belege und Zusammenhänge keine Kausalität. So zeigen sich Jugendliche, die ständig an Geräten hängen, anfälliger für Depressionen. Aber vielleicht spielen ja auch depressionsgefährdete Jugendliche einfach mehr. Tatsächlich ist es schwer zu erfassen, wie sich der vernetzte vom nicht vernetzten Menschen unterscheidet.“
(Quelle: www.zeit.de)
Tatsächlich kann die Nutzung von sozialen Netzwerken sogar positiv für das mentale Wohlbefinden sein, wenn etwa Gleichgesinnte ihre Interessen teilen können und sich weniger allein oder isoliert fühlen (siehe Studie von Andrew K. Przybylski und Netta Weinstein). Weitere positive Aspekte des Onlinelebens schildert VICE in einem Artikel zum Thema.
Schöne neue Online Welt?
Spannend ist, egal wie man es dreht und wendet doch: es ist noch nicht absehbar, nur erahnbar, wie tiefgreifend die „schöne neue Online Welt“ in unsere Denkmuster und unsere Psyche eingreift. Schon die bloße Anwesenheit eines Smartphones und die Möglichkeit von ständigen News haben krassen Einfluss auf unsere Konzentration, zum Beispiel. Die Gefahren stehen im Raum und es ist selbsterklärend, dass gerade für ohnehin schon gefährdete Menschen eine Verstärkung von Symptomen möglich ist. Und ganz von der Hand zu weisen ist der Anstieg der Selbstmorde in den USA mit der zeitgleichen Einführung und Implementierung von Smartphones wohl auch nicht. Die Zeit zitiert den Medienforscher Klimmt:
„Wissbegierige werden schlauer, Gesellige beliebter, Traurige depressiver. Vielleicht verstärkt die neue Technik also das Bestehende, im Guten wie im Schlechten, erweitert den Horizont der Erlebnisse und die Reichweite von Kommunikation um den Preis der Überlastung. Vielleicht reichen die Folgen aber auch tiefer, und wir werden gerade Zeuge eines regelrechten Umbaus der menschlichen Psyche.
Nachgewiesen ist mittlerweile eine klare Korrelation zwischen Smartphone Nutzung und Schlafstörungen. Letzteres wiederum kann zu psychischen Belastungen führen – wie alle Eltern sicherlich nur zu gut wissen 😉
Das richtige Maß und Auszeiten
Yvonne schreibt in ihrem Instagram Beitrag: „Geht euren Weg! Das ständige ZurSchauStellen des geilen Lebens schürt nur Traurigkeit.“ Ich stimme ihr zu – das richtige Maß kennen zur lernen gilt nicht nur für unsere Kinder. Sondern auch wir müssen uns hinterfragen: geht es mir gut? Wie lange saß ich heute vor den sozialen Medien und was habe ich da gemacht? Wenn mein Handy nicht bei mir ist, wie geht es mir dann?
Eine Studie der International School of Management (Hamburg) belegt, dass bewusste Smartphone-Auszeiten sowohl den Stress als auch das Abhängigkeitspotential reduzieren können.
Technologie sollte nie Selbstzweck werden, sondern unser Instrument bleiben. Mir persönlich tut es gut, immer mal wieder Auszeiten zu nehmen, besonders im Urlaub. Aber auch am Wochenende bin ich nicht durchgehend erreichbar. Nachts ist das Handy nicht im Schlafzimmer und im Flugmodus. Das echte, analoge Leben hat immer Prio.
Du bist nicht alleine! Erste Hilfe bei negativen Gefühlen und Depressionen:
Die Deutsche Depressionshilfe bietet Informationen und Hilfe an, wenn die Traurigkeit überhand nimmt. Außerdem gibt es ein überregionales Krisentelefon:
Tel.: 0800 / 11 10 111
Tel.: 0800 / 11 10 222
Rund um die Uhr
Weitere Infos:
www.telefonseelsorge.de
telefonseelsorge@diakonie.de
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