Antisemitismus in Deutschland: „Ich möchte meine Kinder schützen“

25. Oktober 2019
Mahnmal, Judentum, Deutschland, Pixabay

Stellt euch vor, ihr hättet etwas, was euch sehr wichtig ist, was euer Leben jeden Tag prägt, und ihr könntet niemandem davon erzählen. Fast niemandem. Wenn genug Vertrauen aufgebaut ist, wenn ihr wirklich sicher seid, dass euch nichts passieren kann, dann könnt ihr euch öffnen. Das ist kein Krimi. Das ist jüdisches Leben in Deutschland.

„Im Alltag bin ich vorsichtig“

Eine gute Bekannte von mir lebt ihre Identität quasi im Verborgenen. Zwar geht sie in die Synagoge, hat viele jüdische Freundinnen und Freunde. Aber im beruflichen Kontext weiß niemand von ihrer Religion. Sie will es so, auch weil sie sich Sorgen um ihre Kinder macht. Dafür hat es nicht erst die Eskalation in Halle gebraucht. Die Angst fährt bei ihr seit Jahren mit. Nach einer Studie des Jüdischen Weltkongresses nehmen antisemitische Meinungen in Deutschland derzeit zu. Demnach denkt jeder vierte Deutsche antisemitisch. 41 Prozent der Befragten finden, Juden würden zu viel über den Holocaust sprechen. Ebenfalls große Zustimmung finden die Aussagen, Juden „hätten zu viel Macht in der Wirtschaft oder trügen die Verantwortung für die meisten Kriege auf der Welt“.

Ich freue mich deshalb umso mehr, dass meine liebe Bekannte mir einige Fragen beantwortet hat. Ihre Antworten berühren mich sehr und machen mich sehr betroffen. Wie kann es sein, dass Menschen hier solche Angst haben müssen. Dass sie offen Anfeindungen ausgesetzt sind – und das tendenziell nun sogar noch zunimmt?


Wie lebt ihr eure Religion? Wie beeinflusst sie euren Alltag? (Feste, KiTa, Schule ect?)

Unsere Religion ist unser Alltag. Im Judentum ist es nicht so, dass man nur zu bestimmten Tagen etwas macht, man lebt es täglich. Allein was ich im Laufe des Tages an Essen zubereite wird davon bestimmt, denn wir trennen Milch und Fleisch, beides darf nicht zur gleichen Zeit gegessen werden und wir essen keine Produkte mit Schweinefleisch.

Freitag abends beginnt für uns Shabbat und damit ein Ruhetag. Ich backe Challah und koche etwas Besonderes. Es ist wunderbar damit die Woche abzuschließen.

Meine Kinder sind fast alle in jüdischen Einrichtungen untergebracht und feiern dort alle Feste und Feiertage. Noch von einiger Zeit war es nicht so und ich muss sagen, dass es immer schwieriger wurde für uns.

Es ist nicht einfach für kleine Kinder, wenn sie hören, dass zu allen Kindern der Weihnachtsmann kommt, aber zu ihnen nicht.

Auch wenn wir zu dieser Zeit das wunderschöne Fest Chanukka feiern und es auch genauso Geschenke gibt. Kinder wollen nicht anders sein, daher war es für uns der einzig richtige Schritt bewusst in die jüdischen Einrichtungen zu gehen. Meine Tochter ist noch in einer staatlichen Schule, aber auch da streben wir möglichst schnell einen Wechsel an, da sie sich nicht immer sicher fühlt und auch nicht wirklich verstanden. Erkläre deinen Klassenkameraden doch mal, dass du keine Pizza Salami essen kannst, oder einen Cheeseburger! (Schweinefleisch und Käse mit Fleisch geht nicht!)

Wie offen geht ihr damit um?

So offen wie nötig, wenn ich es so sagen kann. Wir gehen in die Synagoge und leben unsere Religion zuhause aus. Bei den Kindern in den jüdischen Einrichtungen bin ich offen Jüdisch, aber im Alltag bin ich vorsichtig.

Zu oft wurde ich von Menschen enttäuscht, bei denen ich es nie erwartet hätte.

Warum bist du vorsichtig? 

Es war für mich nicht immer so, dass ich vorsichtig war und dann wurde ich mit 13 Jahren als „Judenhure“ bezeichnet von einem muslimischen Klassenkameraden. Als ich meinem Lehrer davon erzähle, erklärte mir dieser, dass der Junge einfach ein stürmisches Temperament habe und ich es ihm daher nachsehen sollte. Bäm! Keine Entschuldigung nichts! Aus der heutigen Sicht wüsste ich wie ich hätte weiter machen sollen und dass ich mich an den Direktor hätte wenden können, aber damals mit 13 war ich von der Autorität des Lehrers so eingeschüchtert, dass ich an mir selbst gezweifelt habe. (Meine Eltern sprachen damals sehr schlecht Deutsch, die haben sich auch nicht getraut.)

Solche Geschichten sind nicht selten, auch mein Mann kann solche Erlebnisse aus seiner Kindheit erzählen und so ziemlich jeder Jude. Eine Klassenkameradin meiner Tochter hat neulich ein Video bei Instagram gepostet über die bösen Israelis und den Palästina Konflikt. Ein Schock für meine Tochter, für die das Mädchen eine Freundin ist.

Im Unterricht gab es auch schon einen Kommentar der ungefähr so lautete. „Die reichen Juden können es sich ja leisten“

Der Junge, der das gesagt hat kommt aus einer gebildeten Familie und geht an ein anspruchsvolles Gymnasium. Ich frage mich dann immer woher solche Äußerungen kommen und was in der Familie besprochen wird, abends am Tisch?

Man sieht den Menschen nicht an was sie denken und ich möchte meine Kinder schützen.

Haben du und/oder deine Familie schon einmal Diskriminierungen oder Benachteiligung erfahren?

Offene Angriffe gab es in meinem Umkreis zum Glück nicht. Wir leben ziemlich bedeckt und angepasst, da haben die Menschen, die streng orthodox leben, es wesentlich anstrengender und von diesen höre ich dann auch über offene Anfeindungen. 

Freunde von mir haben mich mal gewarnt, dass ich die Kinder doch bloß nicht in jüdische Einrichtungen schicken soll, denn dann würde es jeder auf den Zeugnissen sehen und dies könnte meinen Kindern nur Nachteile in Deutschland bringen.

Antisemitismus, Synagoge, Pixabay

In Berlin gab es schon einige antisemitische, gewaltsame Vorfälle, vor kurzem den schrecklichen Anschlag in Halle. Magst du beschreiben, was dir dazu durch den Kopf geht? 

Als es den Anschlag in Halle gab war ich im Urlaub und hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Welcher Christ hat Angst in eine Kirche zu gehen? Vermutlich nicht einer. Ich hingegen muss mich jetzt immer umschauen wenn ich mit meinen Kindern zur Synagoge möchte.

Mir persönlich ist ein Stück Freiheit und Leichtigkeit genommen worden.

Diese Angst war und ist schon immer da gewesen. Allein wenn du die Polizei und die Security am Eingang siehst, weißt du, dass du eigentlich in Gefahr bist, weil Menschen, die dich nicht mal kennen, dich einfach nicht mögen, weil du in ihren Augen einen falschen Glauben hast. 

Fühlst du dich sicher in Deutschland?

Nein! Ganz klar nein! 

Warum? Ich sage es mal so: Wenn deine Kinder in einen Kindergarten oder in eine Schule gehen und dort stehen täglich Polizisten und Security (denen ich unendlich dankbar bin für ihre Arbeit) wie sicher kann man sich da fühlen? Wenn man Angst hat, wenn man zur Synagoge geht, dass ein Irrer aus dem Auto auf dich schießt, wie sicher ist man dann?

Die Täter wollen, dass wir Angst bekommen und ich würde sagen, dass sie es oft auch erreichen. Klar gibt es Menschen, die sagen, dass sie sich davon nicht einschüchtern lassen, aber zur Zeit drehen sich viele Gespräche mit meinen Freunden um genau dieses Thema.

Wir haben ehrlich gesagt weniger Angst um uns, als um unsere Kinder, die in Deutschland geboren sind. Sie sind Deutsche und müssen in ihrer eigenen Heimat Angst haben ihre Religion offen auszuleben.

“Achte darauf, dass dein Davidstern unter dem Pullover ist!” Sagte meine Freundin zu ihrem Kind, als das Kind, unbedingt mit der Kette am Hals, nach den Ferien in die Schule wollte. Worte die mir nicht fremd sind!

Dennoch, man lebt weiter. Ich schiebe die Angst so gut es geht bei Seite, anders geht es nicht. 

Was würdest du dir wünschen? Wie glaubst du, könnten wir Antisemitismus entgegentreten? Was würde helfen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Antisemitismus hat so viele Formen. Manche hassen die Religion, weil sie ihnen vielleicht Angst macht, oder weil sie mit vielen Vorurteilen aufgewachsen sind. Manche mögen die Religion nicht, weil sie denken ihre eigene Religion ist die einzig richtige Religion. Dann gibt es wieder die Menschen, die Israel nicht anerkennen wollen und die Politik verurteilen. Der gemeinsame Nenner ist hier eindeutig Hass, aber die Ansätze um etwas zu verändern müssen bei jedem Fall anders sein. Jedem Hass müsste man individuell entgegentreten und da die Samen für diesen Hass oft schon in der Kindheit gesät wurden kommt man dagegen nur schwer an.

Was würde helfen? – Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht! Aufklärung und gemeinsame Projekte an Schulen wären toll, damit der Hass erst gar keinen Nährboden findet.

Wie die Vergangenheit zeigt hat reden irgendwie wenig Wirkung.


Weiterlesen: Auf grossekoepfe.de gibt es einen dazu passenden Gastbeitrag einer jüdischen Mutter und ihren Gedanken zum Anschlag in Halle.

Die Bilder habe ich von Pixabay.de, bis auf das Bild vom Essenstisch, das meine Bekannte mit mir geteilt hat.

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1 Comment

  • Reply Halle| Ich möchte als Mutter und Jüdin keine Angst haben | grossekoepfe 25. Oktober 2019 at 12:19

    […] Auf dem Blog von Mum and still me gibt es nun ein Interview mit einer jüdischen Mama zu diesem Them… […]

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