Ein Erdbeben, ausgelöst in Thüringen, erschüttert seit einigen Tagen das politische Deutschland. FDP Ministerpräsident Thomas Kemmerich wurde mit von der AfD ins Amt gehievt. Knapp 24 Stunden später: der Spuk scheint vorbei zu sein. Kemmerich erklärt, er wolle “den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen” und hat erklärt, das Amt aufgeben zu wollen. Ist also alles nun wieder eitel Sonnenschein? Zunächst scheint es so.
Hoffnung im Dunkel
Der absolute Großteil des politischen Establishments vereinte sich nach der skandalösen Wahl hinter Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Dass Ministerpräsident Söder gar als einer der ersten aus dem konservativen Lager aufstand, dafür hat er nebst allen politischen Uneinigkeiten meinen Respekt.
„Es ist ein inakzeptabler Dammbruch, sich mit den Stimmen der AfD und sich gerade mit den Stimmen von Herrn Höcke zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Dies ist ein hochriskantes und aus unserer Sicht nicht akzeptables demokratisches Abenteuer, das da in Thüringen passiert.“
(Ministerpräsident Markus Söder)
Bis auf wenige Ausnahmen (Kubicki, Kopfschüttel…) zeigte die Politiklandschaft Stärke. Und nicht nur die. Binnen kürzester Zeit wurden tausende Menschen mobilisiert und versammelten sich zum lauten Protest, unter anderem vor der FDP Parteizentrale in Berlin. Und auch im vermeintlich unpolitischen Social Media Gewimmel wurde ich eines besseren belehrt: mein winziger Account wurde geflutet von Unterstützung für die gemeinsame Sache: dem Widerstand gegen den Faschismus.
Ich war gestern ehrlich bewegt. Bei allem Mist, der so in der Welt passiert, wusste ich: Wir sind da. Wir sind politisch. Wir verteidigen unsere Demokratie. Soweit, so gut.
Vielleicht aber, geht es gerade erst wirklich los…
Ich würde so gerne sagen: Leute, das war ein Schrecken, alle haben sich einmal geschüttelt, jetzt ist alles wieder gut. Ist es nicht. Denn das war wohl möglich erst der Anfang. Was die AfD schon jetzt geschafft hat (sie dürfte sich ins Fäustchen lachen) ist die Debatte rund um die Frage: wie werden wir künftig mit dem demokratischen Willen der AfD Wähler*innen umgehen? Kann man über das Votum der Partei einfach hinwegsehen, so wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki meint, der die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten als “großen Erfolg” betitelte? Man müsse ja nicht mit ihnen zusammenarbeiten, meinte er. Damit hat er nicht bei wenigen einen Nerv getroffen. Nicht umsonst hat ja auch sehenden Auges die thüringische CDU bei der Scharade mitgemacht, ganz nach dem Motto “Hauptsache nicht wieder Ramelow”. Koste es was es wolle. Auch, wenn das bedeuten würde, mit den Rechten ins Bett steigen zu müssen.
Daran sehe ich: ganz so klar abgegrenzt ist die politische Haltung gegenüber der AfD eben nicht. Was kommt als nächstes? Klar ist schon jetzt: es wurde ein Diskurs losgetreten. Ein schmerzhafter Spreißel hat sich festgesetzt. Einer, den wir so schnell nicht mehr herausbekommen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass aus dem kleinen Spreißel keine Blutvergiftung wird, die das System zum Kollaps bringt.
Neuwahlen? Ja, aber.
Der Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung Nils Kawig meint:
“Ganz unabhängig davon halte ich es für keine gute Idee, die Thüringer so lange wählen zu lassen, bis den Politikern das Ergebnis passt. Der aktuelle Landtag entspricht den politischen Verhältnissen im Land, also sollten die Abgeordneten sich etwas einfallen lassen.”
Kawig verteidigt den Wähler*innenwillen und hat damit durchaus auch einen Punkt. Nur ist auch klar: die jetzigen Verhältnisse im thüringischen Landtag ermöglichen keine sinnvolle Zusammenarbeit, nicht zuletzt, weil die CDU der Linken keine Stimme für deren Ministerpräsidentenkandidaten geben würde. Und auch im Hinblick auf die AfD Wähler*innen lässt sich sagen: ja, wir müssen ihnen zuhören und ihr Votum ernst nehmen. Es gibt dabei bloß einen Haken. Einen großen und gefährlichen Haken: nur weil jemand die AfD wählt, sollte man sie noch lange nicht naiv als demokratisch legitimiert betrachten. Schon jetzt wird der “Flügel”, ein rechter Zusammenschluss unter “Bernd” Höckes Führung, als Verdachtsfall eingestuft, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung bedroht. Sorgsam verklausuliert verpackt Höcke sein rechtes, völkisches Gedankengut, bringt es wohldosiert an seine Gefolgschaft. Nicht umsonst ist gerichtlich beschlossen: es ist in Ordnung, Höcke einen Faschisten zu nennen. Und auch abseits des Flügels: die AfD ist ein brandgefährlicher Haufen voller kranker Absichten:
“Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. Sieg Heil!”
(Marcel Grauf, Quelle: https://correctiv.org/faktencheck/politik/2020/02/05/die-meisten-dieser-zitate-stammen-von-afd-politikern-einige-sind-aber-unbelegt )
Mit anderen Worten: nur weil die sogenannte AfD (noch) eine genehmigte und wählbare Partei ist, sollten wir uns noch lange nicht dem trügerischen Gedanken hingeben, dass sie nicht antidemokratisch und faschistisch sei. Ja, ich weiß, Vergleiche hinken. Es war eine andere Zeit. Aber, als das Grauen des Nazireichs begann, war die NSDAP zunächst auch noch eine demokratisch wählbare Partei. “Bei den Wahlen von 1928 erhielt die NSDAP 0,8 Millionen Stimmen, 1930 ist die Zahl auf 6,4 Millionen gewachsen.” (Quelle: https://www.annefrank.org/de/anne-frank/vertiefung/deutschland-1933-von-der-demokratie-zur-diktatur/ )
Wohlmöglich geht es jetzt, nach dem Dammbruch in Thüringen erst so richtig los. Deshalb: lasst uns wachsam bleiben. In den Diskursen stark. Auf der Straße präsent. Politisch engagiert. Für die Demokratie.
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