Die Stille nach dem Schrei

6. Oktober 2022
Care Arbeit, Mütter, Belastung

Mehr als ein halbes Jahr nach Susanne Mieraus Elternfadeout ist es ruhig geworden. Neue Krisen. Neue Sorgen. Laut sind nur noch die, die es vorher auch schon waren. Nach dem Ruf nach Entlastung und Unterstützung ist es still geworden um die Eltern. Okay, let’s be clear: es ist ruhig geworden um die Mütter. Also, was soll das alles. War es viel Lärm um nichts?

Alte Probleme, neue Sorgen

Damals, im Februar haben wir gemeinsam gesammelt, was es geben müsste, um die Überlastung von Familien (Müttern) aufzufangen. Um strukturelle Unvereinbarkeit aufzulösen. Da war so viel drin, was wohl echt etwas geändert hätte. Manches davon wurde zumindest auf den Weg gebracht. Die damals vorgeschlagene Bezuschussung von Haushaltshilfen und Babysittingdienstleistungen etwa, die könnte über die eh schon steuerliche Absetzbarkeit hinaus (die ja nur Besserverdienenden nützt) durchaus kommen, will man dem Koalitionsvertrag Glauben schenken.

Vieles andere ist verhallt. In der angespannten Haushaltslage in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und dem darauf basierenden Energiepreisschock sieht es wohl noch schlechter aus, dass Geld zur Entlastung in die Hand genommen wird. Aber ich will nicht allzu pessimistisch einsteigen, schließlich soll es ja doch noch in den nächsten Jahren Änderungen bei der Besteuerung von Eheleuten, mehr Geld für Kinder, Reformen bei Elternzeit und Mutterschutz, weniger Bürokratie und und und geben. Lisa Paus hat von meiner Seite einen klaren Vertrauensvorschuss.

Das Ding ist nur: diese extreme Belastung aus den Pandemiejahren, die haben wir getragen. Und alle Forderungen, Wünsche, Vorschläge sind mehr oder weniger versackt. Ich kann nur hoffen, dass das keine langfristigen Spuren hinterlässt. Eltern noch weniger dazu anregt, ihre knappe Zeit für Engagement aufzubringen. Einen Vertrauensverlust bei Müttern nach den Pandemiejahren, den stellte der WSI-Report im März 2022 fest. Kein Wunder. Es gab viele Worte. Anerkennung in der Theorie. In der Praxis aber passierte nicht wirklich etwas.

Und jetzt? Es geht jetzt eben grad so weiter wie zuvor. Die Gesellschaft und auch Politiker*innen, sie stützen sich darauf, dass Familien funktionieren. Müssen. Care Arbeit – die leisten Eltern doch aus Liebe. Warum das überhaupt Arbeit nennen? (*Ironie off*)

Kleiner Exkurs über die “Liebe”

Ja, es ist Liebe. Diese duftigen, zarten kleinen Wesen, die uns vertrauensvoll in den Schoß gelegt werden. Sie sind da, das Herz klopft, ich will nicht mehr ohne sie sein. Sie sind das herrlich naivste Glück für mich. Natürlich richten wir ihnen abends die Kleider raus, kuscheln sie ins Bett, liegen bei ihnen, bis sie den Tag loslassen können, schmieren das Frühstücksbrot, schmieren es noch einmal neu, weil heute keine Butter gewünscht war, klauben wir dreckige Socken vom Boden auf, machen eine Maschine Wäsche an um sie später am Nachmittag ausräumen zu können, befüllen wir Brotdosen für Kita und Schule, achten wir aufs Zähne putzen, starten die Bringtour in die verschiedenen Einrichtungen – bevor wir überhaupt erst einmal selbst daran denken nach dem Aufstehen ein Glas Wasser zu trinken. Natürlich freuen wir uns drauf, die zwei Kerlchen nach der Erwebsarbeit abzuholen, ertragen wir deren Launen, halten wir aus, wenn sie jetztunbedingtsofort ein Rosinenbrötchen wollen, aber wir keines anbieten können/wollen, halten die gellenden Wutschreie aus, versuchen zu trösten, sind einfach da. Natürlich lieben wir diese verschwitzten Rumpelstilzchen, auch dann, wenn sie zuhause den halben Sandkasten aus dem Schuh kippen, wir erstmal fegen, gemeinsam Freundebücher ausfüllen, Lebensmittel und Abendessen organisieren, die Wäsche aufhängen, Zähneputzen, umziehen, kuscheln, vorlesen und von vorne.

Natürlich.

Ja, es ist Liebe. Aber es ist auch abgefahren viel Arbeit. Belastung. Stichwort #dingedieichsowiesogemachthätte (Mehr dazu hier: https://www.pink-e-pank.de/) . Hätte ich eben nicht.

Und diese Care Arbeit, die ist nicht nur Privatsache. Sie ist ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Faktor. Mit Blick auf die demografische Entwicklung, die Rentenkasse. Mit Blick auf Arbeits- und Fachkräfte. “Würde Care vollständig bezahlt, wäre Fürsorgearbeit in der Schweiz mit 360 Milliarden Euro der größte Wirtschaftsbereich, noch vor Banken und Pharmaindustrie, wie das dortige Bundesamt für Statistik angibt.” (vgl. DLF)

Wir brauchen also Mütter. Eltern. Wir müssen dafür sorgen, dass es ihnen gut geht und dass sie gute “Arbeitsbedingungen” haben. Nicht nur aus Nächstenliebe. Das vor allem. Aber auch, weil unsere Volkswirtschaft darauf basiert.

Lesetipp dazu: Themenspecial Care Ökonomie des Gunda Werner Institutes: https://www.gwi-boell.de/de/care-%C3%B6konomie-nachhaltig-geschlechtergerecht-wirtschaften-und-leben

Das große Aber

Andreas Hövermann und Bettina Kohlrausch schrieben im März:

“Zusammengenommen zeichnen die Befunde ein besorgniserregendes Bild großer Belastungen und politischen Vertrauensverlusts, die zudem mit Prozessen der Retraditionalisierung bei der Betreuungsübernahme einhergehen. Diese Folgen unzureichender politischer Berücksichtigung und Absicherung von Sorgearbeit in der Pandemie und der daraus folgenden weitreichenden Individualisierung der Sorgearbeit sollten politisch unbedingt ernst genommen werden.”

Die Empfehlungen an die Politik deckten sich durchaus mit dem, was vielevieleviele Male schon an anderer Stelle gesagt wurde. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Also wieder und wieder:

  • Anreize für die Entlastung von Müttern bei der Aufteilung der Kinderbetreuung
  • Fehlanreize, wie sie durch das Ehegattensplitting entstehen, abbauen
  • ungleiche Bezahlung zwischen den Geschlechtern beenden
  • öffentliche Betreuungslage in den Blick nehmen, (Kita-Plätze auch für die Kleinsten und angemessene Betreuungszeiten)

und und und.

Was mir in dieser rein auf politische Maßnahmen zugeschnittenen Debatte aber oft zu kurz kommt, ist der gesellschaftliche Druck, das gesellschaftliche Mutterbild und die Erwartungshaltung an Frauen heute, die eben alles sein müssen, wie Mareice Kaiser so schön in “Das Unwohlsein der modernen Mutter” beschreibt. Selbst Betreuungsplätze bis 18 Uhr nützen wenig, wenn das Umfeld Eltern (Mütter!) stigmatisieren, wenn sie diese Betreuungszeiten auch in Anspruch nehmen.

Nun kommen neue Belastungen hinzu. Geldsorgen. Inflation. Rezession. Alles so viel. Und doch besser als in anderen Ländern. Also weitermachen. Still.

Nur ist diese Stille am Ende wieder Rechtfertigung dafür, dass die politischen und gesellschaftlichen Gleichstellungsprozesse zu träge vor sich hin tröpfeln. Und dass die Belastung der Mütter sich einschleift.

Wollen wir das?

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