#berlin2908 – Der Tag danach

30. August 2020

Mir ist schlecht. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll und ich weiß nicht, zum wie vielten Male ich das Gefühl habe, dass etwas entgleitet. Etwas Großes. Wahrscheinlich niemand hat es verpasst, aber ich will euch trotzdem abholen:

Gestern, am 29. August 2020 ist eine Mischung aus Verschwörungstheorektiker*innen, Impfgegner*innen, Menschen die Angst um ihre Jobs haben – und harten Nazis, Reichbürger*innen, Faschist*innen aufmarschiert. Die Rechten haben die Dynamik der Demonstration genutzt, haben sich den Weg hin zum Reichstagsgebäude gebannt und standen dabei nur drei Polizisten gegenüber, davon einem ohne Helm.

Das Ergebnis: Wehende Reichsflaggen vor unserem Parlamentsgebäude.

Diese Bilder sind schon jetzt eingebrannt in mein Gedächtnis. Vielleicht weil ich dort arbeite, und mich auch persönlich angegriffen fühle. Vor allem aber, weil ich Angst um die Zukunft dieses Landes habe.

Was macht es mit den Menschen, wenn sie diese Bilder sehen? Wenn sie mitbekommen, dass einige wenige schwarze (braune?) Schafe aus der Polizei selbst bei der Kundgebung gesprochen haben (während wenige Meter davon entfernt ihre Kolleg*innen bedroht und angegriffen wurden)?

Ich sehe zwei Reaktionen. Die eine ist für mich gefühlt naheliegend: ich lese auf Twitter Diskussionen darüber, wohin man am Besten auswandern könne. Da sind Menschen die ernsthaft Angst haben, um sich und ihre Kinder. Die sich fragen: was wäre gewesen, wenn ein paar Leute gestern statt der Reichsflaggen Waffen in den Händen getragen hätten? Was ja durchaus nicht aus der Luft gegriffen wäre.

Die andere Reaktion, die ich befürchte: Zweifler*innen werden angesteckt vom Sog der Verschwörung. Bei einer Veranstaltung, die sich selbst als “verfassungsgebende Versammlung” bezeichnet, halte ich das für brandgefährlich.

Um eine neue Verfassung ging es zwar gestern dann nicht, aber zumindest forderte Initiator Michael Ballweg von der Initiative Querdenken, alle Corona-Gesetze aufzuheben und den sofortigen Rücktritt der Bundesregierung.

Vor diesem Hintergrund dann diese Leute vor dem Reichstagsgebäude zu sehen, das ist ein Angriff auf unsere freiheitliche Demokratie. Eine nie dagewesene Provokation.

Versteht mich nicht falsch: ich glaube nicht, dass jede*r, der gestern auf dieser Demonstration mit gelaufen ist, ein Nazi ist. Gar nicht. Da waren ja scheinbar die verschiedensten Menschen dabei. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein schützenswertes und hohes Gut. Was ich aber nicht verstehe: wie kann jemand da weiter auf der Demo herum laufen, wenn klar ist, dass man sich die Bühne mit Rechtsradikalen teilt? Dafür habe ich kein Verständnis.

Wo es bei mir auch aufhört: ich kann es nicht ertragen, wie sehr Fakten ignoriert werden (siehe auch meine IG Highlights, ab dem dritten Bild). Mal davon abgesehen, dass ich jetzt einfach mal die provokative These in den Raum stellen würde, dass einige aus der rechtsradikalen Szene das Virus an sich nur instrumentalisieren, selbst wenn sie daran glauben.

Ach, ihr hört mich ächzen. Ich bin es leid. Wirklich. Man müsste doch meinen es ist so abgedroschen, so alt, immer wieder vor der Gefahr von Rechts warnen zu müssen. Aber scheinbar bleibt es aktuell, ist es aktueller denn je? Also lasst uns gemeinsam einmal tief durchatmen und dann gemeinsam alles geben und unsere wertvolle Demokratie verteidigen.

Was könnt ihr tun?

Ihr könnt euch in Gespräche einklinken, auch wenn es unbequem ist und nervt. Diskutiert, mit Respekt, aber bestimmt. Ihr könnt euch bei einer ehrenamtlichen Initiative oder in einer Partei engagieren. Egal was ihr macht: bleibt stark. Hört nicht auf zu informieren. Baut Fronten ab, statt sie zu errichten. Wir dürfen nicht stumm im Hintergrund sitzen und warten, dass jemand anders für uns alles wieder in Ordnung bringt. Ich bin der festen Überzeugung, dass jede und jeder Einzelne spätestens jetzt gefragt ist. Unser Ziel, unser Auftrag, ist Frieden und Demokratie.

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