Geburtshilfe in Deutschland: “Auch ich musste schon Schwangere in andere Kliniken verlegen”

23. Mai 2018
Die Situation der Geburtshilfe in Deutschland spitzt sich zu. Bild: pixabax.com // CC0 Creative Commons

Mit Fachärztin Dr. Silke Wegener im Gespräch über die Situation der Geburtshilfe in Deutschland

Um die Geburtshilfe in Deutschland stand es schon besser. Vom Hebammennotstand ist immer wieder die Rede. Auch ich habe darüber geschrieben. Die freie Wahl des Geburtsortes steht auf der Kippe. Nicht nur wegen der Hebammen. Obwohl es mehr Babys gibt, müssen inzwischen viele kleinere Entbindungsstationen schließen. Die Haftpflichtprämien sind nicht nur für Hebammen, sondern auch für Ärztinnen und Ärzte im Belegsystem enorm hoch. Nicht alle Krankenhäuser wollen oder können sich das leisten. Im Gespräch mit Frau Dr. Silke Wegener, Fachärztin am Vivantes Klinikum Friedrichshain, habe ich mehr über die Situation der Geburtshilfe erfahren.

Die Situation der Geburtshilfe in Deutschland spitzt sich zu. Bild: pixabax.com // CC0 Creative Commons

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Eine Geburt ist immer etwas ganz Besonderes

Mum & still me: Zuerst einmal – wieso geht man als Ärztin in die Geburtsmedizin? Was mögen Sie an dem Job?

Dr. Silke Wegener: Um in der Geburtsmedizin zu arbeiten und besonders an einer so großen Klinik, muss man seinen Job schon sehr gerne machen. Lange Nächte und eine emotionsgeladene Atmosphäre im Kreißsaal machen die Arbeit manchmal auch sehr anstrengend. Bei manchen Kollegen spielen vielleicht die eigenen Erfahrungen eine Rolle, aber sicher immer die Faszination, dass ein neues Leben beginnt. Egal wie oft man es schon gehört hat: Eine Geburt ist immer etwas ganz Besonderes.

Jedem Anfang wohnt nunmal ein Zauber inne.

Mum & still me: Liest man so in den gängigen Blogs, bekommt man den Eindruck, die schwierige Lage in der geburtshilflichen Versorgung beträfe allein die Hebammen. Dabei haben auch Gynäkolog*innen erschwerte berufliche Bedingungen. Zum Beispiel was die Haftpflichtprämien angeht. Wie beurteilen Sie die Situation? Könnte ein Haftungsfonds nach dem Vorbild der Niederlande oder Österreichs eventuell ein sinnvoller Lösungsansatz sein?

Fachärztin Dr. Silke Wegener

Fachärztin Dr. Silke Wegener

Dr. Silke Wegener: Die Situation betrifft alle, die in der Geburtsmedizin arbeiten. Die freiberuflichen Hebammen haben hohe Haftpflichtprämien, aber auch für die Hebammen in der Klinik wird der Job nicht attraktiver. Immer mehr Geburten pro Hebamme in der Klinik und dadurch weniger Zeit für die Schwangeren machen die Arbeit in Kombination mit dem derzeitigen Gehalt nicht unbedingt erstrebenswert. Die Haftpflichtprämien für Ärzte, die in Kliniken z.B. als Belegärzte Geburten betreuen, sind schlicht nicht zahlbar, außer Kliniken übernehmen den Hauptanteil. Da liegt die Jahresprämie inzwischen bei über 60.000 Euro.

Aus diesem Grund mussten viele kleine Geburtskliniken mit Belegsystem in ländlichen Gebieten schließen.

Eine Patentlösung habe ich auch nicht und mit dem wachsenden medizinischen Fortschritt werden die Prämien weiter steigen. Ein wichtiger Punkt wäre es aber vor allem den Job für Hebammen, Ärzte und Pflege insbesondere durch bessere Arbeitsbedingungen bzw. durch höhere personelle Besetzung wieder attraktiver zu machen.

Mum & still me: In Berlin wurde kürzlich ein Kind im Auto geboren, weil es vom Krankenhaus wegen Überbelegung abgewiesen werden musste. Ist es auch Ihnen schon passiert, dass Sie jemanden abweisen mussten? Wie ist das Verfahren, wenn eine Frau in den Wehen bei Ihnen ankommt – die Kreißsäle aber besetzt sind?

Dr. Silke Wegener: In den letzten Jahren sind die Geburtenzahlen deutlich gestiegen, was immer wieder zu Versorgungsengpässen geführt hat, bei Hebammen, Ärzten und natürlich auch bei den verfügbaren Betten auf der Wochenbettstation oder Plätzen in der Neonatologie.

Auch ich musste schon Schwangere in andere Kliniken verlegen.

Wir müssen im Kreißsaal Kapazitäten haben, die Frauen zu betreuen und die Verantwortung für gleich zwei Menschen übernehmen: Mutter und Kind. Ich muss ja gewährleisten können, eine Frau auch wenn die Geburt nicht regelrecht verläuft, betreuen zu könnnen. Wenn ich dies aus Kapazitätsgründen nicht konnte, habe ich die Schwangere verlegt. Häufig müssen wir dann auch den Kreißsaalbetrieb bei der Feuerwehr einschränken. Wir untersuchen jede Frau, die zu uns kommt und der Fach- bzw. Oberarzt entscheidet individuell, ob eine Verlegung möglich ist. Akute Notfälle, Schwangere in kritischem Zustand oder Frauen, die absehbar auf dem Weg ins nächste Krankenhaus entbinden, bleiben immer bei uns. In der Regel arbeiten wir sehr gut mit den anderen Kliniken zusammen und bevor wir eine Frau mit dem Rettungswagen verlegen, haben wir immer einen Platz in einem anderen Kreißsaal organisiert.

Sicher ist es nicht schön, wenn man nicht in der Klinik entbindet, die man sich ursprünglich ausgesucht hat, aber da geht die Sicherheit von Mutter und Kind nunmal vor.

Mum & still me: Fast jedes dritte Kind in Deutschland kommt per Kaiserschnitt auf die Welt. In vielen Fällen unvermeidlich – auch mein erster Sohn kam dank Kaiserschnitt gesund auf die Welt. Trotzdem gibt es üble Nachrede: Kliniken bekämen weit mehr Geld für den operativen Eingriff als für eine teils langwierige, natürliche Geburt, so dass schnell zu Kaiserschnitten geraten werde. Krankenhäuser stünden unter starkem wirtschaftlichem Druck. Abgesehen davon, dass ich bei Ihnen genau das Gegenteil erfahren habe und Sie mir trotz Zustand nach Kaiserschnitt und Einleitung eine vaginale Geburt ermöglicht haben – ärgert es Sie, wenn Ihrem Berufsstand so etwas nachgesagt wird? Oder kennen Sie tatsächlich Häuser, in denen so verfahren wird?

Dr. Silke Wegener: Dies ist nun meine fünfte geburtshilfliche Klinik, in der ich arbeite und ohne Grund habe ich bis jetzt noch in keiner Klinik einen Kaiserschnitt durchgeführt. Das kann von Klinik zu Klinik und Bundesland sicher variieren.

Generell ist eine natürliche Geburt, wenn keine medizinischen Gründe dagegen sprechen, immer unser Ziel und sollte daher auch besser vergütet werden.

Häufig ist eine vaginale Geburt viel aufwendiger zu betreuen als schnell einen Kaiserschnitt zu machen, aber er hat eben auch mehr Risiken bzw. Folgerisiken für die Patientinnen. Wir haben an unserer Klinik, wenn man mal von den Frühchen absieht, eine niedrige sekundäre Kaiserschnittrate (Kaiserschnitte die nach Geburtsbeginn durchgeführt werden). Das liegt sicher an der wirklich guten Zusammenarbeit im Team insbesondere mit unseren Hebammen im Kreißsaal.

Mum & still me: Wieviele Geburten haben Sie im vergangenen Jahr begleitet? Gibt es eine Geburt, die Ihnen ganz besonders in Erinnerung bleiben wird?

Dr. Silke Wegener: Ich zähle die Geburten gar nicht. Ich freue mich immer besonders, wenn eine schwierige Geburt gut endet oder ich Frauen betreue, die ich schon aus der Sprechstunde oder sogar aus der vorangegangenen Schwangerschaft kenne. Da wir viele Hochrisikoschwangerschaften in unserer Klinik betreuen, ist mir mehr als eine Entbindung aus dem letzten Jahr in Erinnerung geblieben. Am schönsten war es, einige Wochen nach der Geburt Besuch von 2 Patientinnen zu bekommen, die wirklich schwierige Verläufe hatten und zu sehen, dass es den Familien gut geht.

 

 

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